Mut zur Forschung mit ergotherapeutischem Profil - Welche Schritte sollten wir bedenken, planen und gehen?

Sebastian Voigt-Radloff, Andreas Fischer Ulrike Marotzki, Udo Häusler

Zu diesem Thema wird es auf dem 46. Ergotherapie-Kongress 17. - 20. Mai 2001 in Nürnberg eine Podiumsdiskussion mit einem Mitglied des DVE-Vorstandes, FachhochschulvertreterInnen und den ReferentInnen geben. Die Veranstaltung wird lebendig durch die Anregungen und Kritik des Publikums mit fachpraktischem Hintergrund. So kann ergotherapeutische Forschung ein praxisorientiertes Profil entwickeln. Deshalb werden zur Vorabinformation die Abstracts der vier Impulsreferate veröffentlicht. Hinweis

Evidenz und Qualitätsmanagement - Ergotherapeutische Forschungs- und Entwicklungsaufgaben
bei knappen Ressourcen

Sebastian Voigt-Radloff, Ergotherapeut

Zentrum für Geriatrie und Gerontologie am Universitätsklinikum der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Lehener Str. 88, 79106 Freiburg    voigt@zggf.ukl.uni-freiburg.de


Die zentrale These des Vortrages besagt, dass zur notwendigen forcierten Förderung von Evidenz und Qualitätsmanagement eine ergotherapeutische Forschungsinstitution eingerichtet werden sollte. Zur Untermauerung der These wird der Bedarf an Evidenz und Qualitätsmanagement in der Ergotherapie beispielhaft aufgezeigt. Die Begriffe Evidenz und Qualitätsmanagement werden in ihrem Bezug zur Ergotherapie kurz erläutert. Externe Evidenz ist die wissenschaftlich belegte Wirksamkeit, interne Evidenz die subjektive Expertise des Therapeuten, die die relevanten Studienergebnisse auf das individuelle Problem des Klienten anwendet. Ergotherapeutische Wissenschaftler beschäftigen sich auf internationaler Ebene schon länger mit der Evidenz. Evidenz spielt in Deutschland eine zunehmende Rolle bei Fragen der ergotherapeutischen Indikation und Zuweisung. Qualitätsmanagement ist das systematische Reflektieren und Steuern von Qualität. Die Qualitätsanforderungen an ergotherapeutische Institutionen müssen in fachlicher Diskussion und in Verhandlungen festgelegt werden. Wir sollten Qualitätsindikatoren finden, mit denen wir die Erfüllung dieser Qualitätsanforderungen reflektieren können. Die Reflektion sollte keine Fremd- sondern eine Selbstevaluation sein. Durch systematische Selbstevaluation erkennen wir frühzeitig, ob wir auf veränderliche Umfeldbedingungen erfolgreich reagieren und damit unsere "Qualitätsbalance" zwischen Zufriedenheiten der Beteiligten sowie dem therapeutischen und wirtschaftlichen Erfolg halten können. Mit Innovationsmanagement können wir unsere Zukunftsposition proaktiv mitgestalten. Erste Ideen zur Förderung von Evidenz und Qualitätsmanagement trotz knapper Ressourcen werden skizziert. Die AbsolventInnen von deutschsprachigen, ergotherapeutischen (Weiterbildungs-)Studiengängen finden hier als personelle Ressource besondere Beachtung. Als Möglichkeiten der Ressourcenbündelung und -schonung werden angeführt:
(1) Eine konsensuell abzusichernde Forschungsstrategie,
(2) eine zentrale Koordination der dezentralen Forschungsbemühungen sowie
(3) eine anwendungsorientierte dynamische Wissensorganisation per Internet-Datenbanken.

Evidenz von was? - Thesen zur Wirksamkeitsforschung ergotherapeutischer Interventionen

Dr. rer. nat. Andreas Fischer, Ergotherapeut

Praxis für Ergotherapie Annette Spangenberg Hans-Böckler-Str. 10a, D-44787 Bochum   Andreas-Fischer@t-online.de

Wenn über den Aufbau ergotherapeutischer Forschung diskutiert wird, folgen in der Regel noch im selben oder spätestens im nächsten Satz die Worte "Outcome" und "Evidenz". Was ist Outcome? Outcome beschreibt das, was am Ende bei einer therapeutischen Aktivität herauskommt, oder anders gesagt die Veränderungen, die durch einen therapeutischen Prozess beim Klienten hervorgerufen werden. Evidenz bedeutet eigentlich nichts anderes als Nachweis und bezieht sich in diesen Diskussionen auf den Nachweis der Wirksamkeit einer therapeutischen Maßnahme durch wissenschaftliche Methoden. Outcome-Studien sind somit die Methoden, wie Evidenz geschaffen wird. Ein positiver Outcome entspricht der geforderten Evidenz der Wirksamkeit. Doch wie soll ergotherapeutische Evidenz gemessen werden? Folgende Thesen sollen im Vortrag belegt und diskutiert werden:
1. Die Ergotherapie blickt zu sehr auf die Wirksamkeitsbelege im Sinne der Evidenz-basierten Medizin bzw. der medizinischen Outcome-Studien und vernachlässigt darüber die Fragestellung, wie in der Ergotherapie überhaupt eine Evidenz aussehen kann.
2. Evidenz in der Ergotherapie muss sich auf der Ebene der Performanzbereiche nachweisen lassen und kann nicht durch funktionelle Verbesserungen auf der Ebene der Performanzkomponenten belegt werden.
3. Die Ergotherapie muss - um Evidenz für die Wirksamkeit ihrer Methoden erbringen zu können - ihre Modelle differenzierter auf die implizierten Annahmen untersuchen. Zum Beleg der Wirksamkeit des Gesamtsystems Ergotherapie und der verwendeten Modelle bzw. therapeutischen Bezugsrahmen ist der Nachweis der Richtigkeit der getroffenen Grundannahmen notwendig.

Klientenzentrierung in der Ergotherapie

Ulrike Marotzki, Ergotherapeutin

Fachhochschule Hildesheim BSc-Studiengang für Absolventinnen und Absolventen der Fachberufe Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie
Goschentor 1, D-31134 Hildesheim   Ulrike.Marotzki@FH-Hildesheim.DE

"Niemand ist berechtigt, sich mir gegenüber so zu benehmen, als kenne er mich." Robert Walser an seine Betreuer im psychiatrischen Krankenhaus Hersau Das Schlagwort "Klientenzentrierung" zielt auf einen Kernbereich professionellen Handelns in der Ergotherapie. Es handelt sich im wesentlichen um eine "Kunst der Berufsausübung" und nicht um eine auf wissenschaftlichen Grundlagen basierende Methode. Natürlich kann Klientenzentrierung Gegenstand systematischer Analyse werden, die zwei Hauptfragen verfolgt:
- Wie entsteht Klientenzentrierung im ergotherapeutischen Prozess?
- Welche Bedingungen benötigt sie, um sich entwickeln zu können?
Diese Forschungsfragen sind hochgradig praxisrelevant. Aussagen, die über den Entwicklungsprozess und die Bedingungen ergotherapeutischer Klientenzentrierung gemacht werden können, stellen einen spezifischen Beitrag zur Entwicklung des Berufsbildes dar.
Im Referat wird erstens Klientenzentrierung als professionelle Kunst beschrieben, die unter den Herausforderungen aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und Anforderungen zunehmend einem Drahtseilakt zwischen zwei extrem unterschiedlichen Kompetenzbereichen gleicht:
- Einerseits den Fähigkeiten offen, einfühlend, engagiert, und parteilich sich für die KlientInnen und ihre Lebenssituation einzusetzen - sich auf sie einzulassen,
- andererseits distanziert und beobachtend, rational und methodisch die ergotherapeutische Problemstellung in der Arbeit mit den KlientInnen zu analysieren und entsprechend Behandlungsmethoden auszuwählen.
Zweitens werden Möglichkeiten und Grenzen einer Forschung thematisiert, die sich mit dem Phänomen klientenzentrierter ergotherapeutischer Arbeit auseinandersetzt. Ihre Ergebnisse haben Bedeutung
- für die Gestaltung ergotherapeutischer Begegnungs- Handlungs- und Spielräume mit KlientInnen,
- für die Ausbildung gleichermaßen selbstkritischer und selbstbewusster ErgotherapeutInnen,
- für das Innen- und Außenbild der Profession.
Dennoch -
- Forschungsergebnisse zur ergotherapeutischen Klientenzentrierung werden immer fragmentarisch bleiben.
- Die berufliche Praxis und ihre kontextspezifischen Entwicklungen werden der Forschung immer vorauseilen.
- Auf der Basis von Forschungsergebnissen entwickelte Methoden der Klientenzentrierung sind nicht automatisch ein Beitrag zur Entwicklung der Kunst der Berufsausübung.

Zwischen Theorie und Assessment - Der Weg der Ergotherapie zum wissenschaftlichen Arbeiten.

Udo Häusler,  Neurobiologie

Ruhr-Universität Bochum, Institut für Biopsychologie,   uhausl@t-online.de

Bedingt durch die gesellschaftlichen Bedingungen und die Reform des Gesundheitswesens gerät Ergotherapie zunehmend unter den Druck die Wirksamkeit ihrer Methoden und die Qualität der Berufstätigen nachweisen zu müssen. Dies trifft nicht nur die Ergotherapie speziell, sondern auch die Medizin und andere therapeutische Berufe wie etwa die Psychologie. Während jedoch die letzteren traditionell auf eine wissenschaftliche Basis zurückgreifen können, um diesen Forderungen gerecht zu werden, ist dies bei der Ergotherapie in Deutschland nicht der Fall. Ein weiterer Effekt dieser Situation ist, dass Arbeitsfelder, die dem Feld der Ergotherapie benachbart sind oder mit ihm überlappen, sich diese (ergotherapeutischen) Bereiche mit ihren Methoden und Kenntnissen anzueignen beginnen. Dies gilt z.B. für die Neuropsychologie und die sich entwickelnde Rehabilitationsmedizin. Um diesen Tendenzen entgegenzuwirken, muss Ergotherapie in Deutschland nicht nur eine wissenschaftliche Orientierung entwickeln, sondern auch eigene Forschung betreiben (These 1).
Die Notwendigkeit wissenschaftlicher Orientierung ist mittlerweile in den letzten Jahren mehrfach auch auf Tagungen diskutiert worden. Dies äußert sich auch darin, dass zunehmend wissenschaftliches Arbeiten in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen wird und die ersten Fachhochschulstudiengänge und Weiterbildungsstudiengänge angeboten werden. Schließlich werden zunehmend ergotherapeutische Theorien und Modelle aus dem angelsächsischen Raum rezipiert. Insbesondere die Suche nach den eigentlichen ergotherapeutischen Kernbereichen hat hierbei Aufmerksamkeit gefunden. Würde dies der einzige zentrale Punkt ergotherapeutischer Wissenschaft sein, bestünde die Gefahr, dass sie sich theoretisch und praktisch isoliert. Ergotherapie braucht die Auseinandersetzung mit Nachbarwissenschaften, ihren Methoden und Theorien, um verstanden zu werden (These 2).
Beiden Thesen auf traditionelle Weise gerecht zu werden, erfordert langfristige Anstrengungen. Kurzfristig muss jedoch ein Ausgangspunkt für praktische Forschung gefunden werden. Ein wichtiger Punkt ist hier die eigene ergotherapeutische Praxis. Diese methodisch so zu fassen, dass Ergotherapie wissenschaftlichem Arbeiten zugänglich ist, bietet einen Ausgangspunkt für die Erarbeitung von geforderten Qualitätskriterien, die Entwicklung einer theoretischen Basis und die Auseinandersetzung mit anderen Wissenschaften. Die eigene Praxis analysieren und mit Hilfe der Theorien von Bezugswissenschaften zu interpretieren versuchen, kann ein Ausgangspunkt für ergotherapeutische Forschung und Theorieentwicklung sein.
Hinweis: Die Abstracts wurden ebenfalls im Forum Ergotherapie der Zeitschrift ERGOTHERAPIE & REHABILITATION veröffentlicht, und sollen dort auch in gedruckter Form erscheinen, wie auch in praxis Ergotherapie. Diskussionsbeiträge zu diesen Abstracts können sie per email an die Autoren der Beiträge
Sebastian Voigt-Radloff
Andreas Fischer
Ulrike Marotzki
Udo Häusler
oder auch an das Forum von ERGOTHERAPIE & REHABILITATION schicken.